Zusammenfassung aus dem Buch von Helmut
Thielicke: Das Schweigen Gottes
ISBN 3-7918-1921-6 Quell Verlag. Meine Gedanken habe ich darin eingearbeitet.
Deshalb empfehle ich, das Buch selbst zu kaufen.
Durch Rolf Häberle
Themen: Zweifel, Glaube, Leid, Not, Tod, Sinn, Sinnlosigkeit, Frieden
FRAGEN
AUS DER
BEDRÄNGNIS
Glaube und Zweifel
Der Glaube glaubt nicht nur »an« Gott, sondern er glaubt auch »gegen« etwas: Er glaubt gegen den Augenschein, die die Existenz Gottes oft so unwahrscheinlich macht. Er glaubt gegen die Angst, gegen die Sorge, und gegen den Tod. Wir wollen nur einen dieser Zweifel hier ausgreifen, gegen den der Glaube glaubt: den Zweifel daran daß Gott gerecht ist, und daß also höhere und sinnvolle Gedanken über unserem Leben gedacht werden. Für diese Frage ist die Gestalt des Hiob ein klassisches Modell.
Der Versucher schlug Hiob mit vielen Plagen: Er nahm seine Güter, seine Knechte, seine Kinder. Er stürzte ihn vor der Höhe eines befriedigten und frommen Lebens (ach, wie leicht ist da fromm zu sein!) in den Schrecken entblößter und hungriger Armut. »Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt« (Hiob 1, 21). ja: mit letzter Kraft erfaßt Hiob noch den Sinn des Geschehens, reißt er das Wort Gottes an sich, das ihn an diesem Unglück anblickt, und klammert sich an seiner Trost: »Der Gott redet hier, der geben und nehmen kann Wie hätte ich dies Geben und Nehmen Gottes aber je begreifen und ernst nehmen können, wenn er nicht auch genommen hätte, wenn ich nicht bitter von ihm geschlagen worden wäre? Er wäre dann ein frommer Schmuck meines Lebens geblieben, und sein Dienst wäre wohl ein erhebender Kultus in meinem reichen Hause gewesen; aber eben ein >Schmuck<, der Gott in der >Sonntagsecke<. Gewiß: ich hätte redlich gelebt, meinen Nächsten und meine Freunde liebgehabt, ich hätte tapfer gearbeitet und mich gut mit ihm gestellt. Aber bei all dem wäre er doch nicht der wirkliche Herr meines Lebens gewesen: Er wäre nicht jener unheimlich reale Herr gewesen, der unerforschlich geben und nehmen kann, und dessen Ratschluß zu hoch ist, als daß man ihn verstehen könnte (Hiob 42,3). Er wäre auf keinen Fall jener Herr für mich gewesen, dem ich in allem und unter allen Umständen recht gegeben hätte. Nein: Er wäre ein Herr für mich gewesen und geblieben, mit dem ich von Herzen gestritten, gehadert und gerechtet hätte (42, 4). «
Das alles ahnt Hiob noch, als Gott ihm sein Liebstes und seine Lieben nimmt. Und er hält diesen frommen Gedanken auch dann noch fest, noch einen Augenblick lang fest (auch wenn der Zweifel schon dumpf in ihm tönt), als der Versucher wiederum kommt und nicht nur Güter und Kinder nimmt, sondern ans Leben selber geht und Gebein und Fleisch antastet (2,5), als er an den Augapfel des Lebens rührt (2,4) und ihn mit Schwären schlägt von der Fußsohle bis an den Scheitel (2, 7).
So sitzt er in der Asche seiner verbrannten Güter und schabt sich die wehe, entstellte Haut und klammert sich noch einmal an die Stimme, die in all dem tönt: Auch das Böse, das Schreckliche müssen wir aus seinen Händen nehmen, So wie wir das Gute ja auch von ihm geschenkt bekommen (2, 10). Oder sollte es etwa keine Güte sein, wenn ein schmerzliches Schicksal uns lehrt, daß alles, alles von Gottes Händen und Herzen zu uns herniederkommt, Liebes und Leides? Aber dann starrt ihn die nackte Sinnlosigkeit an, dann sieht er nur Asche und Schwären, klagende Freunde, fühlt er nur noch brennenden Schmerz. Und im Hintergrund steht der Versucher und mißt mit der Sanduhr, gespannt, wann die Grenze des Möglichen, des Menschenmöglichen im Leiden überschritten sein wird: Die Sanduhr läuft; aber zunächst will Hiob noch reifer werden in seiner Erkenntnis Gottes; er meint zu spüren, was Gott ihm durch all den zugefügten Schmerz sagen will. Doch der Versucher lächelt überlegen. Er wird das Spiel gewinnen. Er ist sich klar, daß zweierlei für ihn arbeiten wird: die Zeit und der Schmerz.
Er weiß: Reifer werden wollen durch das Leid, das kann doch nur heißen, daß man sich das Leid »zur Lehre« dienen lassen will; so wie Hiob sich durch den Verlust seiner Güter darüber »belehren« läßt, daß sie ihm nicht gehören, sondern Gott, und daß Gott sie ihm nehmen kann und daß Gott sich folglich als Herr über Leben und Tod und Güter zeigen will, wenn er so schmerzvoll in unser Leben fährt.
Der Versucher lächelt über diese fromme Regung. »ja - denkt er -. wir wollen den Augenblick abwarten, wo das Leid den guten Hiob genügend in diesem Sinne >belehrt< hat. Das kann doch nicht lange dauern. Die frommen Weisheiten, die ihm im Unglück erwachsen und die man später einmal fett drucken wird - nun, die werden verstummen, wenn das Leiden weitergeht. «
Jawohl: »Wenn das Leiden weitergeht. « Der Versucher ist ein guter Psychologe, er rechnet so: Hiob meint, wenn er genügend aus seinem Leiden gelernt hätte (zum Beispiel, daß Gott gibt und nimmt und daß er der Herr ist), dann müßte das Leiden wieder aufhören, weil es ja seinen Sinn erfüllt hätte. Denn wenn es einfach weiterginge, dann könnte er doch gar nichts mehr dazulernen. Dann hätte es eben keinen »Sinn« mehr.
Und also läßt der Versucher, wenn er einen ernstlichen Angriff vorhat, das Leiden weitergehen - über die Spanne dessen hinaus, was der Mensch für sinnvoll hält. Wenn er meint, nun müsse es aufhören, nun habe er genügend gelernt, dann hört es gerade nicht auf, dann geht es sinnlos weiter. Die Zeit ist der unheimlichste Diener dieses Fürsten der Nacht. Sie macht uns mürbe. Nicht deshalb zunächst, weil sie so lang ist, sondern weil sie so sinnlos ist, weil das immer weiter dauernde Leid zu einer fratzenhaft höhnischen Frage wird: »Was sagst du nun?« - »Wo ist nun dein Gott? « (Ps. 42,4) - » Meinst du noch immer, daß dir dies Leiden von Gott geschickt sei? Worin sollte denn sein Sinn noch bestehen? Wie könnte es denn jetzt noch, nach all den Monaten, nach all den Jahren >zum Besten dienen<?« (Röm. 8, 28) - »Hältst du wirklich noch fest an deiner Frömmigkeit - noch immer ... wie lange noch?« - »ja, sage Gott ab und stirb! « (Hiob 2,9).
Die Mittel des Versuchers sind plump und listig zugleich. Er tut im Grunde nichts anderes, als daß er die natürliche Stellung des Menschen zu Gott in Rechnung stellt und sie zur äußersten Konsequenz vortreibt. Er macht einfach mit dem Menschsein des Menschen ernst: Der Mensch will von Natur Herr und Richter Gottes sein. Seine höheren Gedanken müssen immer dem entsprechen, ja, müssen sich dem fügen, was der Mensch sich für Gedanken macht und für sinnvoll hält. Da tut der Versucher nichts anderes, als was wir bei Hiob sahen: Er führt den Menschen mit Hilfe der Zeit, mit Hilfe der langen Dauer seines Leidens an einen Punkt, wo er das Leiden nicht mehr als sinnvoll und reifend und fördernd erkennen kann. Das ist dann mit teuflischer Notwendigkeit auch der Punkt, wo sein Gottesglaube absurd wird, wo er Gott abschwört.
Sein anderes Mittel ist der Schmerz. Das weiß jeder von sich selber. Das Leiden ist nur so lange erziehlich, wie wir bei klarem Verstand sind und uns »Gedanken« machen können, nur so lange, wie es uns »zur Besinnung« dient. Aber diese »Besinnung« hört sofort auf, wenn der rein körperliche Schmerz eine bestimmte Grenze überschreitet, die Grenze, hinter der wir ganz ausgefüllt von ihm sind: entweder so, daß wir krampfhaft die Zähne aufeinanderpressen oder laut schreien, oder auch so, daß wir - geschüttelt von Angst und Entsetzen - im Tal einer sekundenlangen Schmerzlosigkeit auf die nahende Welle eines neuen ungeheuren Schmerzes warten. Und jedes Unglück und jeder Kampf, im Weltmaßstab oder daheim im Bereich der politischen oder bürgerlichen Existenzfragen, in Kranken- und Irrenhäusern, ist ein solcher Schmerz, der uns immer wieder an jene Grenze heranführt, wo wir »ausgefüllt« sind und wo die Frage als Frage verklingt. Wie sollten wir da noch erbauliche Gedanken über Sinn und Unsinn, über Reiferwerden und Wachsen am Schmerz haben können?
Das ist also die andere These des Versuchers: Es gibt einen Grad des Leidens, wo man nicht mehr reifer wird an ihm. Und dieser Schmerz ist der zweite Pfeil im Köcher des Feindes: der Schmerz, der einfach durch seine Stärke sinnlos ist. (Welcher unheilbar und schrecklich Kranke und welcher im Trommelfeuer des Kummers zermürbte, selbst fürs Fluchen zu schwache Mensch wüßte davon kein Lied zu singen!)
Darum setzt auch der Mensch, der Gott mit seinem Sinnglauben - und das heißt doch nun: mit diesem Glauben an sich selber - halten möchte, diesen seinen Gott ab, sobald er nichts anderes mehr ist als ein solcher Haufen in sich gekrümmten Wehsens.
So sind wir Zweifler von Anbeginn: Wir zweifeln an Gott in dem gleichen Maße, wie wir an uns selbst glauben; und wir glauben unbändig an uns selbst.
Die Stunde der Versuchung, das ist die Stunde, in der wir an uns selbst glauben, in der wir aufhören, an uns zu zweifeln-, und eben darum an Gott zweifeln. Das ist unsere Stunde und die Macht der Finsternis (Luk. 22,53). So lehrt die Heilige Schrift den Bruch der Menschen mit Gott.
Mit dem Zweifel werden wir darum nicht fertig, wenn wir Argumente wider ihn sammeln, sondern nur, wenn der Sohn Gottes uns in den Frieden mit seinem und unserem Vater zurückbringt.